Digitale Transformation – Der rasche technische Wandel der letzten Jahre geht an niemandem spurlos vorbei, er bietet zahlreiche Chancen, wird aber häufig auch mit Angst betrachtet. Gerade für den Bereich der Jugendarbeit tun sich viele Fragen auf: Was dürfen, was sollen Jugendliche? Und wie lässt sich das mit dem vereinen, was sie eigentlich wollen? Zita Hille beleuchtet das umfangreiche Thema auf einer Veranstaltung des Landesjugendrings NRW am 19. März in Essen.
Autos fahren autonom, Roboter übernehmen den Haushalt, der Kühlschrank ist mit der Yogamatte, den Deckenlampen, dem Handy und dem Motorrad verbunden und deine Likes in sozialen Netzwerken geben mehr über dich preis, als all deine Liebsten wissen – genau so sieht die nahe Zukunft aus. Schon jetzt sind wir im Vergleich zu den letzten Jahrhunderten auf einem technischen Stand, auf dem Maschinen zuvor noch nie waren: So schnell, so selbstständig, so intelligent. Wie wird das in wenigen Jahren aussehen?
Eine repräsentative dimap-Umfrage für das Deutsche Institut für Vertrauen und Sicherheit im Internet (DIVSI) aus dem Jahr 2018 ergab, dass die Digitalisierung Menschen zunehmend Angst bereitet. Fragen danach, welchen Einfluss dieses Phänomen auf unsere Zukunft oder die unserer Kinder habe, ob unsere Selbstständigkeit verloren gehe, ob die Menschheit dadurch dümmer werde oder wir bald gar unsere Jobs verlieren würden, weil Maschinen alles übernähmen, beschäftigen junge sowie ältere Menschen in gleichem Maße. Genau über diese Problematik und was das für die Arbeit mit Heranwachsenden bedeutet, diskutierten etwa 25 Teilnehmende am 19. März im Haus der Technik in Essen auf der Veranstaltung “Digitale Transformation: Wie Technik unser Zusammenleben beeinflusst und was Digitalisierung mit uns macht”, organisiert durch den Landesjugendring NRW.
Auf die Frage, wie sie mögliche zukünftige Entwicklungen im Bereich der Jugendarbeit bewerten, war vor allem bei den jüngeren Teilnehmenden der Veranstaltung eine deutliche Unbehaglichkeit zu spüren. Sie befürchten unter anderem, dass der persönliche Kontakt von Jugendlichen zu Leitenden verloren gehe, was den Kern der Jugendarbeit eigentlich ausmache.
“Facebook scheint umsonst zu sein, aber eigentlich bezahlen wir mit unseren Daten”
Kirsten Fiedler, Aktivistin bei European Digital Rights (EDRi), hielt einen der beiden Vorträge am 19. März. Die “Edward Snowden-Verehrerin”, wie sie einmal in einem Interview bezeichnet wurde, engagiert sich tatkräftig für mehr Transparenz, Einhaltung der Menschenrechte und Sicherheit im Netz. Sie riet den anwesenden Jugend- und Verbandsleitenden, sich mit der Digitalisierung auseinanderzusetzen und sie an die Jugendlichen weiterzugeben: Man solle lieber kleine Schritte gehen als gar keine. Hierzu zählt Fiedler die aktive Abwendung von, großen Unternehmen zugehörigen, Plattformen wie Facebook, WhatsApp (ist seit 2014 Teil der Facebook Inc., Anm. d. Red.), Google und weiteren Anbietern. Insbesondere sei dies zum Beispiel hilfreich, wenn es um die Kommunikation mit den Jugendlichen ginge, für Planungen und Verabredungen. Bei solchen Unternehmen stünde die Verschleierung interner Prozesse und Overblocking, also das Löschen oder Sperren bestimmter Inhalte, auf dem Programm. Stattdessen gäbe es genügend andere “gute” soziale Plattformen, die man nutzen und früh vermitteln könne.
“Digitaler Umweltschutz ist genauso unsere Verantwortung, wie der Schutz unseres Planeten”
Manche von Fiedler vorgeschlagenen Ausweichplattformen, beispielsweise posteo.de oder mailbox.org, auf denen man sich eine neue E-Mail-Adresse anlegen könne, kosteten zwar circa einen Euro im Monat, seien aber dafür “grün” und vertrauenswürdig, da sie nicht alle Daten automatisch speicherten und den Emailverkehr und die Inhalte nicht mitverfolgten. “Es wird Zeit, dass wir wieder Geld für Dienste zahlen, die wir annehmen, und nicht mehr Daten unsere Währung sind”, fasst die Expertin ihre Devise zusammen. Das Geschäftsmodell der Überwachung solle nicht noch (mehr) unterstützt werden. Im persönlichen Gespräch mit politikorange erzählt sie uns, wie sie selbst an “die ganze Sache mit dem Datenschutz” gekommen sei. Als erstmals Kameras an U-Bahnhaltestellen in Bonn angebracht wurden, hatte sie am selben Tag ein angsterfülltes Gespräch darüber mit ihrem Freund. Das habe sie im Nachhinein zum Handeln bewegt.
Dr. Harald Gapski vom Grimme-Institut, der neben Fiedler ebenfalls in Essen referierte, stimmte ihr zwar zu, merkte aber an: „Sensibilisierung ist sehr gut. Aber das Versprechen, komplette Kontrolle über Daten zu haben, würde ich nicht aussprechen!“ Er bezeichnete Daten als “das neue Öl”, eine Art kostbare Ressource, die allerdings im Vergleich zum richtigen Öl nicht ausgehe, sondern – ganz im Gegenteil – für eine sehr lange Zeit im Netz bleibe. Mithilfe der sogenannten “Big Five”, ein Modell der Persönlichkeitspsychologie, das fünf Hauptdimensionen der menschlichen Persönlichkeit identifiziert, könne man anhand von nur 200 Likes mehr über eine Person herausfinden, als der Partner oder die Partnerin über sie wisse. Murmelnde Stimmen im Publikum verrieten: Das geht nicht spurlos an uns vorbei.
“Junge Menschen brauchen…”
Veränderungen in der Kommunikation mit Jugendlichen wird es durch die Digitalisierung also definitiv geben. Die Frage die bleibt ist, wie jetzige Generationen den Weg für folgende Generationen ebnen und sie mit dem Wissen über die Bedeutung ihrer Datenpreisgabe in der Online-Öffentlichkeit bestmöglichst ausstatten. Bei der Abschlussdiskussion der Veranstaltung formulierten die einzelnen Gruppen verschiedene Thesen der Jugendarbeit in Bezug auf die digitale Transformation. Die Ergebnisse präsentierten sie sich im Anschluss gegenseitig. Ergebnisthesen hier waren unter anderem: Junge Menschen seien “Experten in der Anwendung von Social Media”, aber auch “neugierig und nicht auf die Auswirkung ihrer Handlungen im Netz vorbereitet, da sie unaufgeklärt” seien, ebenso “können und sollen (sie) auf digitale Werkzeuge nicht verzichten”. Hieraus folgerten die Teilnehmenden entschlossen: “Junge Menschen brauchen Aufklärung, Orientierung und Schutz in ihrer Freizeit, kritische Bildung und Freiräume in ihrer Schule und Ausbildung.”
Eine der Teilnehmenden erzählte von ihrer Arbeit als Bildungsfachkraft an einer Schule: Jedes Jahr steht dort eine Veranstaltung auf dem Programm, bei der vier Politikerinnen und Politiker eingeladen werden, um zu einem Wettgrillen miteinander zu diskutieren. Die Schüler und Schülerinnen dürften dem zuhören, anschließend die Diskussion auswerten und Fragen stellen. Praktische Aktionen der Jugendarbeit, die allen Beteiligten auch Spaß bereiteten wie diese, seien zum Beispiel eine effiziente Methode, um Jugendliche aufzuklären. Fachkräfte hätten die Verantwortung, sich über solche Methoden Gedanken zu machen – eigentlich aber auch jeder andere, der mit künftigen Generationen zu tun habe. “Wir hinterlassen digitalen Raum, in dem unsere Nachfolger leben müssen – das ist Verantwortung”, so Fiedler.
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