Die Veranstaltung „Digitale Transformation“ wurde von der Jugendpresse Deutschland e.V. begleitet. Aus ihrer Redaktion politikorange berichten zwei junge Menschen unabhängig von der Veranstaltung. Autorin dieses Artikels ist Sandra Schaftner.
Digitalisierung bedeutet viel mehr, als dass nur Briefe und Zeitungen durch Smartphones und Laptops ersetzt werden. Das wurde bei der Veranstaltung des Landesjugendrings NRW zum Thema „Digitale Transformation“ deutlich. Aber auch, dass es Handlungsbedarf im Bereich der Persönlichkeitsbildung Jugendlicher gibt.
“Digitalisierung” – ein Thema ohne Anfang und ohne Ende. Sie betrifft alle Lebensbereiche von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Gerade deshalb fragen sich vor allem viele Jugendverbände: Wie können wir uns dem Thema annähern? 30 Vertreterinnen und Vertreter von Jugendverbänden entschieden sich dazu, an einer Veranstaltung des Landesjugendrings NRW zum Thema „Digitale Transformation: Wie Technik unser Zusammenleben beeinflusst und was Digitalisierung mit uns macht“ am 19. März 2019 in Essen teilzunehmen.
Die Teilnehmenden kamen mit unterschiedlichen Erwartungen und Erfahrungen zur Veranstaltung. Das Spektrum reichte von drei jungen Frauen von der Sportjugend im Kreis Coesfeld, die sich Inspirationen für Trainerinnen- und Trainerlehrgänge und das Jugendteam des Sportverbands erhofften, bis hin zu Vertretern und Vertreterinnen des Jugendverbands des Deutschen Gewerkschaftsbunds, die schon viel Hintergrundwissen hatten und sogar politische Forderungen wie eine Novellierung des Berufsbildungsgesetzes gestellt hatten. Tobias von der DGB-Jugend fasst seine Erwartung an den Abend klar zusammen: „Wir hoffen, dass wir die Lebensrealität junger Menschen in der Arbeitswelt mit in die Veranstaltung tragen können.“
Tobias, die Frauen von der Sportjugend, und Vertretungen von Pfadfinder- und Landjugend sollten gemeinsam am Ende des Abends Thesen zu der Frage „Was bedeutet digitale Transformation für junge Menschen?“ aufstellen. Davor gab es einführenden Input von Experten: Einer davon ist Dr. Harald Gapski, Leiter der Grimme Forschung am Grimme-Institut.
„Was bedeutet Medienkompetenz, wenn das ‚Auto‘ selbst fährt?“
Gapski machte mit Metaphern und vielen Beispielen das Thema Digitalisierung greifbar. Mit dem Vergleich „Daten sind das neue Öl“ verdeutlichte Gapski, welchen Wert und welche Macht unsere Daten für die Internetriesen haben. Außerdem erklärte er das Bild vom Internet als Auto. Man spreche nicht umsonst von Datenautobahnen und dem Computerführerschein. Aber das Internet entwickle sich immer weiter, was den Experten zur provokanten Frage führt: „Was bedeutet Medienkompetenz, wenn das ‚Auto‘ selbst fährt?”
Um diesen Kontrollverlust zu veranschaulichen, brachte er einige Beispiele zur Sprache, die vielen Teilnehmenden die Augen öffneten. Ungläubiges Gelächter ging durch den Raum, als der Experte von einer Erfindung aus Finnland sprach, bei der Bewerber auf einen Job explizit nur ihr E-Mail-Postfach offenlegen sollten und daran ihre Eignung für den Job gemessen wurde.
Nach dem Vortrag sprachen die Vertretungen der Verbände auch immer wieder über das geplante chinesische Sozialpunktesystem, von dem viele bisher nicht viel bekannt war. Das System soll zukünftig mittels Unmengen an gesammelten Daten durch Smartphones, soziale Netzwerke und Überwachungskameras jedem Bürger und jeder Bürgerin in China einen “Score”, also einen Punktwert, zuteilen, der angibt, ob er oder sie ein „guter“ oder „schlechter“ Mensch ist.
Gapski machte den Teilnehmenden deutlich, dass die Entwicklungen immer mehr in Richtung einer datengetriebenen Kontroll- und Bewertungsgesellschaft gehen. Und da, so Gapski in seinem Vortrag, müsse die Bildung ansetzen. „Es geht um die Bewertung jenseits der Quantifizierung“, forderte der Experte. Und auch die Persönlichkeitsbildung in der digitalen Welt sei wichtig, da sie ein „Anker“ angesichts des Kontrollverlusts sei. Der Experte erklärte anhand anerkannter Modelle aus der Theorie, dass Jugendliche wie Erwachsene in der digitalen Welt mit Wertekonflikten, Kontingenz und Unsicherheit konfrontiert seien. Da sei die persönlichkeitsbildende Perspektive essenziell und damit die Frage: „Wie positioniere ich mich?“
Bilder, die hängen bleiben
Nach dem Vortrag merkte man den Teilnehmenden an, dass es an der ein oder anderen Stelle vielleicht doch etwas zu viel Theorie war und sie die aus ineinander verflochtenen Ellipsen oder Pfeilgebilden bestehenden Modelle nicht so recht auf ihre konkrete Jugendarbeit projizieren konnten. Dennoch prägten vor allem die verwendeten Beispiele ihre Auffassung von Digitalisierung und auch der Begriff der Persönlichkeitsbildung dominierte noch später die Diskussion bei der Aufstellung der Thesen.
Jens vom Ring deutscher Pfadfinder- und Pfadfinderinnenverbände (RdP) NRW fand einen Ansatz sehr wichtig, den die weitere Vortragende Kirsten Fiedler von der NGO European Digital Rights (EDRi) angeführt hatte. Jugendliche könnten sich – genauso wie sie sich für Bio-Lebensmittel und regionale Produkte entscheiden können – auch Alternativen zu Google und Facebook suchen. Das überzeugte auch andere Teilnehmende wie Christina vom Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ), die meinte: „Wenn die Jugendleiter sagen, wir nutzen jetzt alle den Messenger Signal, dann fangen die Jugendlichen auch an, sich dafür zu interessieren.“
Während am Anfang noch die Frage im Raum stand, inwieweit die Jugendverbände überhaupt für die Sensibilisierung der Jugendlichen mit Digitalisierung verantwortlich sind, war am Ende der Diskussion das Fazit klar: „Die Persönlichkeitsentwicklung ist Kernthema unserer Verbände und wir sollten das um das Digitale erweitern“, sagte Peter Bednarz aus dem Vorstand des Landesjugendrings NRW am Ende der Veranstaltung.
Persönlichkeitsbildung ist der gemeinsame Ansatzpunkt
So zeigte sich, dass genau der Punkt der Persönlichkeitsbildung das ist, was sowohl Sportvereine als auch die DGB-Jugend sowie die Pfadfinderinnen und Pfadfinder verbindet, und wo alle im Kontext der Digitalisierung ansetzen müssen. Bei all der Gemeinsamkeit gingen spezielle Zugänge zum Thema ein bisschen unter, zum Beispiel zeigte sich Tobias von der DGB-Jugend am Ende etwas enttäuscht, dass für den Aspekt der Arbeitswelt fast keine Zeit war. Aber er beobachtete auch: „Die Herangehensweise, wie wir die Thesen aufgestellt haben, ähnelte Herangehensweise, die wir auch bei anderen Themenbereichen anwenden. Also ist das alles vielleicht gar nicht so schlimm mit der Digitalisierung.“
Schlimm vielleicht nicht, aber sehr wichtig, und deshalb bemerkte auch Gapski am Ende erfreut, dass die Verbandsvertretungen den Begriff Persönlichkeitsbildung mit Digitalisierung koppelten. „Die digitale Welt stellt Fragen nach Werten wie Freiheit, Souveränität und Selbstbestimmung neu, die über die Jugendverbandsarbeit eingebracht werden können“, sagte er gegenüber politikorange. Das hatte er den Teilnehmenden an diesem Abend vermittelt, der nur der Auftakt einer Veranstaltungsreihe mit noch drei weiteren Terminen war, zu denen viele Verbände wiederkommen und weiter diskutieren wollen.
Das sagen die Teilnehmenden:
Noch nicht genug bekommen?
Auch Zita Hille, 20, war in Essen mit dabei: Hier gibt es ihren Beitrag zum Thema „Zukunft der digitalen Generation und Verantwortung“.
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